Veranstaltung: | LDK Oldenburg 2024 |
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Tagesordnungspunkt: | 5. Sonstige Anträge |
Antragsteller*in: | Tobias Landwehr (KV Vechta) |
Status: | Überweisung |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
Eingereicht: | 01.04.2024, 23:21 |
wA23: Bewegungskatastrophe in Deutschland -- Die Folgen: Höhere Mortalität, höhere Kosten für die Gesellschaft -- Antrag auf mehr Sport in Schulen und Gesellschaft
Antragstext
Deutschland steht still. Wortwörtlich. Denn kaum jemand bewegt sich. Die
aktuellsten Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahre 2022
attestieren Deutschland katastrophale Zustände.
Die WHO definiert als Mindestmaß an Bewegung für Erwachsene 150 Minuten pro
Woche. Das sind etwa 21,5 Minuten pro Tag. Bewegung, wohlgemerkt, kein Sport!
Alltägliche Bewegungen wie Fahrradfahren zählen in diese Statistik bereits mit
hinein. Dennoch: Nach Daten des Robert-Koch-Instituts RKI bewegen sich nur 48%
der erwachsenen Deutschen mehr als 21,5 Minuten pro Tag. 52% scheitern daran!
Die WHO-Definitionen für Mindestbewegung sind keine Fitnessdefinitionen. Sie
definieren, welche Bewegung mindestens notwendig ist, damit ein Mensch gesund
bleibt. Jeder, der sie nicht erfüllt, steigert seine Mortalität, verkürzt also
die Lebenszeit. Mangelbwegung ist also potentiell tödlich. Die WHO führt
Mangelbewegung als vierthäufigsten Grund für Frühsterblickeit an.
Bewegungslosigkeit führt zu Herzinfarkten, Schlaganfällen, Fettleibigkeit,
Diabetes, Depressionen und Bluthochdruck. Es führt zu mehr Krankheiten,
Krankenhausaufenthalten, Belastungen für das Gesundheitssystem, den Steuer- und
Beitragszahler und die Wirtschaft.
Bewegungslosigkeit ist wirtschaftsrelevant. 2 Milliarden Euro an
Krankenkassenkosten pro Jahr verursacht der Bewegungsmangel laut WHO in
Deutschland. Tendenz steigend. Die Auswirkungen fehlender Arbeitskräfte auf den
Arbeitsmarkt sind da noch nicht einmal mit eingerechnet.
Zwar gab es in Niedersachsen auf Schulebene zuletzt den "Pakt für
Niedersachsen", der zeigt sich jedoch zumeist zu unkonkret, vage und freiwillig,
indem er den Mangel an Bewegungsgrundversorgung lediglich durch Seitenmaßnahmen
kaschiert, die am bisherigen Trend der (jugendlichen) Nichtbewegung keine
Änderung oder gar Trendwende erwirkt haben.
Kurz: Es muss etwas gegen Mangelbewegung getan werden. Und die Grünen in
Niedersachsen sind in der glücklichen Position, etwas bewegen zu können!
Folgende Forderungen:
I. Durch Arbeit, Mehrarbeit und Carearbeit plus Pendelei, die im Großteil
bewegungsarm sind, sind die meisten arbeitstätigen Menschen heute nur noch im
Sitzen tätig. Als Vollzeittätige sind sie zumeist mindestens zehn Stunden am Tag
(Arbeit, Pause, Pendelei) mit bewegungslosen oder bewegungsarmen Tätigkeiten
beschäftigt. Darauf folgen Caretätigkeiten und zumeist eine auf geistiger
Erschöpfung basierende Erholung in Form des passiven digitalen Konsums von
Medien. Awarenessprogramme helfen bedingt. Vor allem fehlt den Menschen die
Zeit, das Nichtbewegen ihres (Berufs-)Alltags auszugleichen.
Die Grünen in Niedersachsen sollen sich infolgedessen dafür einsetzen, dass die
Regelwochenarbeitszeit auf 35h/Woche reduziert wird.
Als erster Schritt soll eine wissenschaftliche fundierte Argumentationsgrundlage
geschaffen werden, aus der hervorgeht, welchen möglichen volkswirtschaftlichen
Nutzen die gesteigerte Gesundheit der Bevölkerung durch Mehrbewegung (Vermeidung
von chronischen Krankheiten, Reduzierung von Krankheitstagen) im Vergleich zum
möglichen volkswirtschaftlichen Einschnitt durch die Stundenreduzierung bringt.
Beispielsweise argumentiert die WHO, dass jeder in Sport und Bewegung
investierte Euro das 1,7-fache an ökonomischen Output zur Folge hat.
II. Das Fundament für Freude an Bewegung wird in jungen oder den jüngsten Jahren
gelegt. Inderfolge kommt Schulen eine besondere Verantwortung zu, da Kinder und
Jugendliche hier einen großen und mit der Ganztagsschule sogar den größten Teil
des Tages verbringen. Der Schulstundenplan in Niedersachsen sieht jedoch pro
Schulwoche nur zwei Schulstunden Sport vor. Sicherlich kommt ein wichtiger Teil
in der Verantwortung zur Vermittlung von Kultur und Freude an Bewegung aus
familiärem Umfeld und die Schule kann einen Mangel in der Vermittlung
ebensolcher Bewegungsfreude nie zur Gänze auffangen. Dennoch ist die Schule auch
ein Spiegel der Gesellschaft. Wenn Sport in dieser gesellschaftlichen Reflexion
so gut wie gar nicht existiert, können Stellenwert und Bedeutung von Bewegung so
nur als nebensächlich wahrgenommen werden. Das hat, wie gerade festzustellen
ist, eine fatale Vernachlässigung von Sport und Bewegung bei Kindern und
Jugendlichen bewirkt.
a. Die Grünen in Niedersachsen sollen sich infolgedessen dafür einsetzen, dass
der Schulstundenplan für jede Jahrgangsstufe und Schulform mindestens 4
Schulstunden pro Woche vorsieht.
b. Um den Mangel an Lehrpersonal kurzfristig auzugleichen, soll der Quereinstieg
von geeignetem Fachpersonal im Bereich Sport auch für diejenigen ohne
Hochschulabschluss ermöglicht werden, so geeignete Qualifizierung und Erfahrung
auf anderweitigem Wege auf langfristigem hohen Niveau nachweisbar sind (Bsp. A-
Trainierlizenzinhaber, langjährig praktizierende Coaches im Profisportbereich,
spezielle Kräfte bei Polizei oder Bundeswehr). Mittel- bis langfristig muss die
(Sport)Lehrerausbildung weit praxisnäher und weniger bürokratisch während
Hochschul- und Referendariatszeit gestaltet werden.
III. Unabhängige Vereine sind der Kitt der Gesellschaft, insbesondere der Kitt
der sportlichen Gesellschaft. Viele basieren auf dem Engagement des Ehrenamtes,
für das, siehe I., wenig Zeit bleibt. Hauptamtliche Engagements bleiben zumeist
nur gutgesponserten Großclubs vorbehalten und sind rar gesät.
a. Die Grünen in Niedersachsen sollen infolgedessen prüfen und eine Strategie
entwickeln, inwiefern von (landes)staatlicher Seite finanziell entlastende oder
fördernde Mittel (etwa Rentenpunktanrechungen) verwendet werden können, um die
Zahl hauptamtlicher Sportmittler (Trainer, Übungsleiter etc.) zu erhöhen. Etwa
könnten zu erwartende Steuereinnahmen aus dem Vertrieb von cannabishaltigen
Produkten, direkte Zahlungen der Krankenkassen oder direkte Beiträge durch
Unternehmen, die wie bei Stiftungen zur steuerlichen Begünstigung der
Unternehmen beitragen, zum Erschaffen solcher stellen angewandt werden. Wichtig
ist jedoch, die unabhängige Kultur der Vereine zu bewahren.
b. Ähnliche Strategien wie in a. können auch für sportmittelnde Personen oder
Progamme in Firmen oder staatlichen Stellen zur Stützung des Breitensports
entwickelt werden. So gibt es etwa das Prinzip des Sports in der Dienstzeit bei
der Bundeswehr. Das Prinzip könnte auch für andere staatliche oder
unternehmerische Stellen in Zusammenarbeit mit Vereinen angewandt werden.
Schlussbemerkung: Sportmangel ist kein Luxusproblem. Es ist ein immanentes und
imminentes, also ein dringendes Problem, dass die ganze deutsche Gesellschaft
betrifft. Sport und Bewegung sind nicht nur für die Gesundheit enorm wichtig.
Sport und Bewegung vermitteln Kultur, festigen soziale Strukturen und schaffen
neue; sie schaffen ein positives Verhältnis zur Natur und in Zeiten der
Überhandnahme des Digitalen erfahren Menschen durch ihn eine Bindung zum eigenen
Körper.
Sport und Bewegung sind aber auch extrem wichtige Gesundheits- und
Wirtschaftsthemen. Wenn aus wirtschaftlicher argumentiert werde, dass man sich
die Programme nicht leisten könne, dann ist dies eine grundlegend falsche und
vor allem kurzfristig Betrachtung von Sport und Bewegung. Unsere Gesellschaft
muss(!) sich Sport und Bewegung leisten können, damit die Millionen an Menschen
mit Mangelbewegung - es betrifft mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung!
- nicht unwiederbringlich chronisch erkranken und/oder verfrüht verstirbt. Jede
Erkrankung sorgt für weniger Arbeitskraft und damit für die Mehrbelastung
sozialer Systeme, die zum einen den Steuer- und Beitragszahler genauso wie
Unternehmen belasten und damit letzten Endes die Wirtschaft schwächen. Sport und
Bewegung sind also eine langfristige Investition mit hoher Rendite.
Aus humaner, sozialer und ökonomischer Sicht sollte dieser Antrag deswegen von
den Grünen in Niedersachsen unterstützt werden.
Unterstützer*innen
- Claudia Meyer-Blömer (KV Vechta)
- Hannes Brinkmann (KV Vechta)
- Holger Ziefus (KV Vechta)
- Sandra Deutschbein (KV Stade)
- Rebekka Polster (KV Vechta)
- David Possenriede (KV Vechta)
- Walter Hußmann (KV Cloppenburg)
- Jonas Heyng (KV Vechta)
- Anna Elisabeth Lagemann (KV Vechta)
- Karina Sinn (KV Vechta)
- Oliver Rahner (KV Vechta)
- Hinnerk Ripke (KV Vechta)
- Christopher Assmann (KV Vechta)
- Moritz Niklas Meister (KV Lüneburg)
- Maren Wiegel (KV Lüneburg)
- Andrea Glass (KV Lüneburg)
- Matthias Dähne (KV Vechta)
- Johannes Babilon (KV Vechta)
- Pia Redenius (KV Lüneburg)
- Karen Rabbe (KV Lüneburg)
- Max Burlage (KV Vechta)
- Claudia Schmidt (KV Lüneburg)